Itras By ist eines meiner liebsten Erzählrollenspiele, daher muss ich hier unbedingt noch eine kurze Rezension abliefern.
Das Regelwerk besteht aus einer relativ umfangreichen Settingbeschreibung. Das Spiel entfaltet sich in Itras By, einer surrealistisch anmutenden Stadt, die an ein Europa der 20er Jahre anknüpft. In der Mitte der Stadt befindet sich der Mondturm, das Zentrum von Stabilität und Ordnung. Um diesen Turm herum gruppieren sich 5 Stadtteile: ein Reichenviertel, ein Bürgerviertel, ein Arbeiterviertel, ein Künstlerviertel und das Stadtzentrum. Alle diese Viertel sind voller surrealistischer Details: Von Gebäuden, die an Krebs erkranken über irgendwelche alten Mönche, die aus Träumen Realität werden lassen können bis hin zu einer gewaltigen Spinnengöttin, die seit dreihundert Jahren die Stadt regiert. Je weiter man sich von dem zentralen Mondturm entfernt, desto unvorhersehbarer und verrückter stellt sich die Umwelt dar. Am Ende der Existenzebene befindet sich die Randzone, eine unwirkliche, traumhafte Region, deren Betreten zu unvorhersehbaren Erlebnissen führt. Was dahinter liegt ist nicht bekannt.
Das Spiel enthält keine Regel zu viel. Die mageren Anweisungen erfordern keinen Lernprozess, es muss nie – wirklich nie! – irgendwo eine Regel nachgeschlagen werden. Itras By braucht einen Spielleiter, der aber relativ schwach ist, weil sich das Geschehen weitgehend aus freier Improvisation ergibt. Inspirationen liefern dabei im Wesentlichen zwei Kartenstöße. In jeder Szene steht es jedem Spieler frei, für seinen Charakter eine Entscheidungskarte zu ziehen. Das sind im Prinzip die im Erzählspielsektor allseits bekannten Konfliktresolutionskarten mit “Ja, aber…”, “Nein, und…” etc. In Itras By liefern die Karten noch ein wenig mehr (z. B.: “Nein, aber dafür geschieht etwas Vorteilhaftes, was damit gar nichts zu tun hat.”). Einmal pro Spielabend kann außerdem noch jeder Spieler eine Zufallskarte ziehen. Diese Karten enthalten Anweisungen, die dem Spielgeschehen eine zusätzliche surrealistische Note geben. Eine Karte informiert die Spieler beispielsweise darüber, dass ihre Charaktere Publikum haben, das in der gegenwärtigen Szene lautapplaudierend oder protestierend seine Meinung zu ihrer Performance abgibt. Eine andere Karte lässt für eine Szene die Charakterblätter einen Platz weiter geben… auch der Spielleiterposten rotiert! Eine dritte Karte intitiiert ein Stille-Post-Spiel. Was der letzte Spieler in der Reihe versteht, hält Einzug in die Spielrealität… undsoweiter. Die Ideen sind teilweise harmlos, teilweise echt schräg. Es ist möglich, ein Itras By Abenteuer vorauszuplanen. Man muss eben nur damit rechnen, dass ein Plot nicht nur durch die Spieler, sondern außerdem auch noch durch den Surrealismus des Spiels gehörig hin und her gebogen wird. Ein Spielleiter sollte mit der Flexibilität an die Sache heran gehen, ab einem gewissen Grad an Chaos den Plot dann eben auch mal ganz in den Wind zu schießen. Wenn sie gut durchdacht ist, trägt eine Ausgangssituation das Spielgeschehen von allein und ist wahrscheinlich angemessener, als ein minutiös durchgeplantes Abenteuer. Bei aller Unvorhersehbarkeit ist das Spiel aber absolut kampagnentauglich.
Das Regelwerk enthält außerdem noch ein nicht allzu außergewöhnliches System zur Charaktererschaffung, wie es sich für ein Erzählrollenspiel gehört. Es läuft darauf hinaus, dass man seinen Charakter mit verschiedenen Eigenschaften, Fertigkeiten, Dramaelementen, Motiven und Verknüpfungen mit den anderen Charakteren ausstattet. Diese Dinge werden durch die Bank frei ausgewählt. Das Regelwerk enthält viele Anregungen, aber keine verbindlichen Regeln (mal abgesehen von Hinweisen, wie viele Eigenschaften welcher Art gewählt werden sollten).
Außerdem findet sich im Regelwerk noch ein Kapitel mit Spielleiter- und Spielertipps, das mit gut gefallen hat. Revolutionär neuartig ist es allerdings nicht.
Ich halte das Spiel für absolut großartig und hatte schon ganz tolle, intensive Spielerlebnisse damit. Itras By hat allerdings leider eine kleine Einsteigerhürde: Das Setting ist doch recht fremdartig und auch etwas umfangreicher, sodass eine Einarbeitungsphase nur schlecht umgangen werden kann. Direkt losspielen ist jedenfalls nicht so einfach. Wer aber Spieler hat, die sich das Setting (knapp 80 Seiten) mal durchlesen oder am Anfang ein paar Erklärungen akzeptieren, der sollte das einfach ´mal ausprobieren.